Liebe Mitkämpferinnen und -kämpfer,
Achtung: wahrscheinlich wird das hier ein sehr langer Post. Bitte seht es mir nach. Ich versuche, in dem Post mein Nichtrauchertagebuch des letzten Jahres komprimiert aufzuschreiben. Wem das Gelaber zuviel ist, sollte bitte in anderen Threads sein/ihr Glück versuchen.
Dies ist mein erster Beitrag hier im Forum, daher will ich mich erst mal kurz vorstellen. Ich heisse Joachim, bin noch, leider nicht mehr lange, 49 Jahre alt und - wie Ihr meinem Zähler auf der linken Seite entnehmen könnt - jetzt seit einem knappen Jahr rauchfrei. Ich war bis zum 20. November 2015, an dem ich meine hoffentlich letzte Zigarette in meinem Leben geraucht hatte, sehr starker Raucher (30+), und das schon seit über 30 Jahren.
Vielleicht fragt sich jetzt der eine oder andere, weshalb ich jetzt, nachdem die schlimmste Phase des Nichtmehr-Rauchens, des Entzugs, der Schmacht, der Abschwörung von den Rauchritualen vorbei ist, hier anfange, im Forum einen Beitrag zu verfassen. Ich will das gerne erklären: Ich lese hier schon recht lange mit, habe mich dann letzten September registriert und mich jetzt dazu durchgerungen, doch mal einen Beitrag zu verfassen, weil ich fasziniert bin von dem Zusammenhalt, der Menschlichkeit, den Erfolgen, der Freude aber auch der Trauer und der Misserfolge, den oftmals tragischen Geschichten, die hier im Forum von unterschiedlichsten Menschen mitfühlend miteinander geteilt werden. Das ist etwas ganz, ganz grosses, was hier passiert, und ich bin dafür allen, die daran mitwirken, sehr dankbar!
Gerade aber die Misserfolge, die Trauer, die bedrückenden Dinge, von denen ich hier erfahren habe, sind der zweite Grund, weshalb ich dieses Thema eröffnet habe. Ich möchte mit meiner kleinen Geschichte denen, die noch am Ausstieg zweifeln oder mit ihm hadern, Mut zusprechen, den Weg in Angriff zu nehmen bzw. ihn weiter zu gehen.
Egal wie schwer es Euch momentan vorkommt: Es lohnt sich, bleibt da bitte unbedingt dran! Selbst wenn Ihr bereits z.B. gesundheitliche Einschränkungen durch das Rauchen in Kauf nehmen müsst, ist der Ausstieg immer noch lohnenswert. Sich zu sagen, “ach egal, jetzt bin ich eh schon krank, dann kann ich auch weiter rauchen”, wäre fatal. Jeder Ausstieg aus dieser elenden Droge lohnt sich. Immer.
Ich habe hier viele Geschichten gelesen, die der meinen sehr ähneln, aber in ihren einzelnen Ausprägungen doch wieder so unterschiedlich zu der meinen sind, dass ich mir dachte, ich erzähle einfach mal, wie mir der Ausstieg gelang und wieso es bei mir bereits 5 vor 12 und sofortiges Handeln angesagt war. Ich möchte mit meiner Erzählung niemanden unter Druck setzen, dass er bzw. sie auch den sofortigen Ausstieg schaffen muss. Das Gegenteil ist der Fall! Ich will Euch ermutigen, den gleichen Weg zu gehen und würde mich freuen, wenn Ihr ihn, im Gegensatz zu mir, ohne das Damoklesschwert schaffen würdet, welches vor über einem Jahr über mir schwebte.
Meine Raucherkarriere startete wahrscheinlich so wie bei den Meisten, die hier unterwegs sind: Spätestens mit 18 angefangen in den 80er-Jahren, weil alle geraucht haben: Die Großeltern (so sie denn trotz Rauchens noch gelebt haben), die Eltern, die Geschwister, die Mitschüler, einfach alle. Wer das Pech hatte, in einem Umfeld aufzuwachsen, in dem das Rauchen völlig normal und leider auch gesellschaftlich völlig akzeptiert war, rutschte fast automatisch in den Rauchstrudel mit rein. Zumindest in meinem Umfeld hat damals niemand über die tatsächlichen Folgen des Rauchens nachgedacht. Vielleicht waren diese vor 30 Jahren auch noch überhaupt nicht bekannt oder, was noch bedenklicher wäre, sie wurden von den einschlägigen Lobbygruppen erfolgreich aus der öffentlichen Wahrnehmung fern gehalten.
So begann also meine Raucherlaufbahn, und sie sollte über 30 Jahre lang anhalten. Weder Schule, Bundeswehr, Studium, Auslandsaufenthalte und dann irgendwann bis heute ein toller Beruf, den ich ergreifen durfte, hat mir die “Freude” am Rauchen vermiesen können. Jedem Raucher war schon immer klar, dass er “gerne” raucht, und genau so war es auch bei mir: Ich hatte keine gesundheitlichen Einschränkungen, mein soziales Umfeld akzeptierte meine Quarzerei, es war gemütlich, die Raucher sind die netteren Menschen, sie sind kommunikativer, sie sind lustiger. Der ganze Quatsch eben, den wir uns jahrelang eingeredet haben, war auch immer in meinem Hirn tief, fest und unverrückbar verankert.
Die ganzen Nichtrauchergesetze, die hauptsächlich aus den USA zu uns herüber schwappten, machten mich persönlich ab Anfang der 2000er Jahre sogar stellenweise aggressiv: Diese dahergelaufenen Gesundheitsapostel wollen uns nur unsere letzte Freude verderben! Militante Vollpfosten! Die erste Partei, die mit dem Thema “Nichtrauchen” in DE auf Stimmenfang geht, wird mit dauerhaftem Stimmentzug bestraft! Etc…!
Um meine Gesundheit stand es um das Jahr 2008 rum, als es dann für uns Raucher in der Öffentlichkeit immer enger wurde, gefühlt immer noch gut. Fit, ausreichend Luft, Herz gesund, starker Stoffwechsel.
Oder hing ich doch schon etwas in den Seilen? Woher sollte ich etwa überhaupt noch wissen, dass ich fit war und jederzeit - auch unter Belastung - ausreichend Luft zur Verfügung hatte? Schliesslich hatte ich mich dank beruflichem Stress schon lange nicht mehr mehr als von der Wohnung ins Auto, ins Büro und wieder zurück bewegt. Ich hatte mein Körpergefühl schon längst verloren, war mir dessen aber nicht im geringsten bewusst, dass ich es verloren hatte. Egal! Hatte keine Zeit, zur Ruhe zu kommen. Später! Lasst mich mit dem Zeug in Ruhe. Wenn ich Ruhe will, hock ich mich abends vor die Playstation mit einer Schachtel Zigaretten. Danach bin ich der ruhigste Mensch der Welt.
(Einschub: Ich habe das Anfang November 2015, als ich noch rauchte, getestet. Playstation, Schachtel Kippen, harmloses Spiel, gestartet um 22:00 Uhr, aufgehört um 03:00 Uhr. Puls am Schluss: 162, Blutdruck 180/120. Das Spiel war anscheinend doch nicht so harmlos… Aber: Ich war natürlich der ruhigste Mensch der Welt.)
Irgendwann 2013 fing es dann an. Es fühlte sich an, als ob irgendjemand hinter mir steht, und sich an meinem Hals immer neue Stellen raussucht, die er zudrücken kann: Mal an den Seiten, mal hinten, mal direkt unterhalb der Unterkiefer, dann unterhalb des Kehlkopfes. Ich fand das recht unangenehm, dachte mir anfangs aber noch nicht viel dabei. Der Hausarzt schickte mich zum Zahnarzt, zum Orthopäden, zum HNO-Arzt und zur Krankengymnastik und schliesslich auch noch zum Kardiologen, bei dem ich mich als alter Hypochonder dann auch aus Feigheit nicht traute, auf dem Ergometer zu steigen, weil ich Angst hatte, bewiesen zu bekommen, dass mein Herz/Kreislaufapparat schon längst augehört hatte, anständig zu funktionieren.
Das war der Widerspruch in mir. Einerseits: Ich bin unverletzlich! Meine Gesundheit ist unantastbar (§1). Ich habe das Recht zum Widerstand gegen jeden, der mir das abspenstig machen will (§20, Absatz 4). Ich bin kein Jurist, habe aber genau so empfunden. Andererseits: Ich hatte Angst vor Krankheiten. Ich bin hypochond, und zwar so, dass es eigentlich behandlungswürdig war. Was immer half: weiterrauchen.
Der Hausarzt hörte sich mein Geplärre zwei Jahre an (Hals, Druck, schlechter Luft jetzt doch, Treppen, Bierkisten tragen macht immer weniger Spass, Brennholz lass ich mir liefern, ist das nicht trostlos….? etc) und schlug dann vor, dass ich doch die ausgezeichneten diagnostischen Möglichkeiten unsere hiesigen sportmedizinischen Abteilung der Universitätsklinik nutzen sollte. Die Jungs dort würden mich durch die Mangel nehmen und mir im Anschluss sagen, ob ich ein elender, heulender Simulant sei (seine Prognose) oder ob tatsächlich irgendwas “Richtiges” nicht mit mir in Ordnung ist (meine Prognose). Für einen Hypochonden ist eine “richtige” Diagnose immer sehr vorteilhaft, wie ich ich einer meiner Hypochonden-Therapien gelernt habe. Man hat was “Amtliches”, was man mit der Krankenkasse abrechnen kann. Das entbindet von der Notwendigkeit, sich Krankheiten einzubilden.
Also habe ich bei den Sportmedizinern einen Termin vereinbart (August 2015) und mich in diesem Termin komplett durchsehen lassen. Währenddessen ich noch bei den Jungs auf dem Ergometer schnaufte und mir vom “Bufdi in Charge” anhören durfte, dass es mit meinen körperlichen Fähigkeiten nicht gerade zum besten bestellt sei, kam der Herr Doktor Oberchefarzt vorbei, um mir mitzuteilen, dass er aufgrund der abgelesenen Werte den Verdacht habe, dass irgendwas mit meiner Lunge nicht stimme. Panik! PANIK! PANIK!!! Anders kann ich es nicht beschreiben. Er empfahl mir dringendst, einen Pneumologen aufzusuchen. Er kenne durch Zufall einen, ganz in der Nähe, ich solle doch da mal vorbei schauen…
Der empfohlene Pneumologe hatte leider die darauf folgenden zwei Monate keine Zeit fuer mich, sondern konnte mir erst im Oktober 2015 einen Termin anbieten. Für mich Hypochonden, dem ein Sportmediziner sagt, dass er ein massives Problem mit meinen Vitalwerten hat (“Ihr Volumen, Ihre Einsekundenkapazität, Ihr Laktatanstieg, Ihr Blutdruckanstieg, Ihr Herzfrequenzanstieg: Das sind alles Dinge, die mir nicht gefallen”), waren diese zwei Monate Wartezeit natürlich der absolute Horror, weil ich felsenfest davon ausging, dass ich an unheilbarem Lungenkrebs litt. Natürlich tritt immer das schlimmste ein.
Ich machs kurz: Kein Tumor, dafuer aber eine COPD (formal: GOLD B, also noch “überschaubar”, weil noch nichts zu spät ist). Das CT zeigte keine Tumore in der Lunge. Uff… Frage von mir: “COPD? Was ist das?” Pulmologe: “Obstruktion… bla, bla, Ihre Lungenbläschen…., Überblähung, Emphysem, aber nicht sehr. Obstruktion aber stärker ausgeprägt… Deswegen Schwierigkeiten bei Treppe, Holz, Playstation, Bier etc…. Aber!”
Pulmologe (schaut mich an, schaut meine Frau an, die im Termin dabei war, er ist sehr ruhig, er ist sehr ernsthaft): “Es gibt jetzt genau zwei Möglichkeiten: Erste Möglichkeit, Sie machen so weiter wie bisher: Rauchen, (Nicht-)Bewegung, Stress, Ernährung, Ängste. Zweite Möglichkeit, Sie machen nicht so weiter wie bisher. Im ersten Fall werden Sie mit 55 Jahren auf ein Sauerstoffgerät angewiesen sein und trotzdem wahrscheinlich Ihren 60. Geburtstag nicht erleben, weil Sie mit 59 sterben werden. Im zweiten Fall würde ich Ihnen gerne erläutern, wie Sie weitermachen könnten, um den ersten Fall nicht eintreten zu lassen.”
Er hat das wirklich so knallhart zu mir gesagt.
Wir sind jetzt in Ende Oktober 2015 angelangt. Besteht Interesse, dass ich weiter berichte, wie es weiterging? Ob ich die rote oder die blaue Pille genommen habe? Wenn ja, würde ich am Wochenende mit meiner doch sehr langen Geschichte weitermachen.
Ich wünsche Euch weiterhin alle Kraft der Welt,
Joachim.