Liebe Annemarie,
Dein letzter Post ist schon wieder ein paar Tage her. Wie geht es Dir inzwischen?
Daß Du schreibst, Deine oberste Prio gilt dem Schulbesuch, finde ich super. Kann ich nur unterstützen. Darf ich mich gerade mal erkundigen, welche Schule Du besuchst?
Weißt, es ist ein schwieriger Teufelskreis. Rauchend plagt einen das schlechte Gewissen, das Gefühl der "Unsauberkeit" (das, wie Du schon gelesen hast, viele hier kennen, ich auch... irgendwann hab ich sogar den eigenen Gestand an den Fingern, Haaren, Klamotten wahrgenommen und mich tierisch dafür geschämt...). Auch körperliche Schieflagen setzen zu (der Kloß im Hals kann durchaus davon herrühren, ich hatte ständig das Gefühl, einen Frosch im Hals zu haben und mich räuspern zu müssen - war mir auch peinlich irgendwann). Genauso die nachlassende Belastbarkeit, sowohl körperlich (Kondition, Atemvolumen und Kreislauf leiden ja) als auch geistig (regelmäßig drängelt sich der Gedanke ans Rauchen in den Kopf, bricht jede Konzentration und jeden Gedankenfluß auf) und so vieles mehr, was das Rauchen eigentlich unerträglich und auch untragbar macht. Aber hört man dann auf, hat man erstmal mit der Sucht zu kämpfen. Fühlt sich mies, denkt die ganze Zeit nur ans Rauchen, hat schrecklich Verlangen und ja, vielleicht auch körperliche Entzugserscheinungen (die allerdings verbreiten weniger Schrecken als die im Kopf). Und dann fragt man sich natürlich, ist es das jetzt wert, aufzuhören...??????
Kann ich Dir eindeutig mit Ja beantworten.
Als ich aufgehört habe, hatte ich echt schlechte Lungenwerte (vom Lungenfacharzt nachgewiesen) und Herzstechen bei der kleinsten Anstrengung. Jeder Handgriff, den ich machte, wurde ausgeführt im Hinblick darauf, nachher eine zu rauchen. (Irrerweise werden diese Zigaretten umso wichtiger, je weniger man raucht - also versteh mich richtig, ich finde das super, daß Du es schaffst, so lange Zeiten nicht zu rauchen, aber die Zigaretten, die Du dann rauchst, halten die Sucht am Leben und bestimmen Deinen ganzen Ablauf...). Meine geistige Leistungsfähigkeit sank auch (klar, wenn Du irgendwie immer bloß an die nächste Zigarette denkst...). Also Stand heute würde ich schon sagen, das Rauchen hat mir unheimlich viel genommen.
Nach dem Aufhören dann hab ich auch erstmal phasenweise echt gelitten. Und mich gefragt, ob das jemals aufhören kann, ob ich denn da durch muß, wenn ich doch mit einer einzigen Kippe meine "Beschwerden" "lindern" könnte. Und war oft genug nah dran, es auszuprobieren... Ein Glück habe ich es nicht getan.
So. Heute bin ich in der Lage, hier zu schreiben und das nicht nur, weil ich nicht mehr rauche (logisch), sondern auch, weil ich es damit schaffe, meinen Kopp beisammen zu halten, den Gedankenfluß nicht abreißen zu lassen, weil mich nicht mehr ständig die Sucht zwingt, zu unterbrechen. Habe außerdem vor einiger Zeit eine Kampfsportart aufgenommen (worauf ich ehrlich gesagt ziemlich stolz bin, da nicht gerade die jüngste Teilnehmerin, aber trotzdem konditionsmäßig nicht hinter jüngeren Leuten zurück!) und fahr wieder viel Fahrrad (und ich wußte nicht mal, ob ich es überhaupt noch kann, so lange bin ich nicht gefahren - Luft hat ja nicht gereicht). Und ich fühle mich total frei und stark, weil ich es geschafft habe, damit aufzuhören, meinen Körper und meine Gedanken zu vergiften.
Was bringt das jetzt für Dich? Einmal möchte ich gerne damit Deine Frage beantworten, ob man das Unwohlsein und die nachlassende Leistungsfähigkeit los wird, wenn man aufhört. Ganz klar: ja. Und zweitens möchte ich Dir sagen: Ja, es ist schon so, daß man sich während der Entwöhnung auch mal mies fühlt. Daß man sich nicht vorstellen kann, daß es einen Sinn haben soll, aufgehört zu haben. Daß man schmachtet und leidet. Aber weißt Du was? Da muß und kann man durch. Und das hört auch auf, also das ist nicht dauerhaft, laß Dich da nicht in die Irre führen! Klar denkt man sich in dem Moment, oh je, wenn es mir nun für immer so mies geht??? Und die Sucht sagt dann, ja ja, riskier es lieber nicht, rauch lieber eine. Aber laß Dich davon nicht aufs Glatteis führen, es geht Dir definitiv nicht für immer mies! Die Sucht veräppelt Dich bloß (ich schreib ja hier keinen Kraftausdruck, aber Du weißt sicher, was ich eigentlich hätte schreiben mögen oder?). Es hört definitiv auf.
Mach Dir erstmal keinen Druck, keinen Streß, unter Streß aufhören ist immer schwierig (weil was macht ein gestreßter Raucher? Richtig, rauchen). Du willst aufhören? Prima! Auf was freust Du Dich, wenn Du damit fertig bist? Mehr Geld im Portemonnaie? Fitness? Den Gestank los zu sein und die Ausdünstungen, die wir als Raucher nun mal produzieren/produziert haben? Es gibt so viele tolle Aspekte am Nichtmehrrauchen, was ist denn für Dich der Tollste? Und dann: Welche Situationen sind es, in denen Du vorzugsweise rauchst, und was könntest Du statt dessen tun? Hobby, Schublade auswischen oder andere Haushaltstätigkeit, ein scharfes Bonbon lutschen oder einen Kaugummi kauen, Atemübung, Luft durch einen auf Zigarettenlänge gekürzten Trinkhalm "rauchen", ein Fenster putzen, zehn Liegestützen, von 50 runterzählen - alles mein Ernst, das sind alles erprobte Alternativen zum Rauchen, und es gibt da so viele - Du bist also auch nicht wehrlos, sondern kannst aktiv werden. Mach Dir doch erstmal einen Schlachtplan, leg Dir eine Strategie zurecht. Dann hast Du was in der Hand, wenn die Schmacht kommt und kannst ihr was entgegensetzen. Mit einem süffisanten Grinsen.
Siehst Du, so viele haben es geschafft, darunter auch wirklich "harte Fälle". Du kannst das auch schaffen!
Laß mal wieder von Dir hören Annemarie. Bis dahin grüßt Dich
Lydia