Liebe Seni,
Danke für deinen netten Besuch in meinem Wohnzimmer, der mich sehr freut.
Du frägst, ob ich analysiert habe, warum ich rauchte ... und warum ich immer wieder rückfällig wurde.
Zu dem ersten Teil würde ich gerne berichten ... die Sache mit dem rückfällig werden, möchte ich erst später, irgendwann behandeln ... sie braucht einfach mehr Konzentration und Reflektion.
Also, wie war das bei mir? Weshalb wurde ich Raucher? Und warum habe ich weiter geraucht? Ähnlich wie bei dir.
Grundsätzlich: meine beiden Eltern sind starke Raucher gewesen. Aufhören konnten oder wollten sie nicht … meine Mutter wollte aufhören, das weiß ich sicher, sie hat es mehrfach probiert, aber nicht geschafft – sie starb mit 63 an einem Darminfarkt; mein Vater hörte wohl mit 70 Jahren auf als er die Diagnose Pankreaskarzinom/Bauchspeicheldrüsenkrebs bekam.
Die Zigarette war also die Droge, die von klein auf in meinem Umfeld war. Als Kind fand ich rauchen - wie alle Kinder - eklig, denn ich bin in Zeiten aufgewachsen, in denen Erwachsene noch im Auto, am Esstisch, im Büro - schlicht überall - qualmten (hat meine Mutter womöglich in der Schwangerschaft geraucht?) und jungen Leuten - mit erhobenen Zeigefinger - sagten „Fang ja nicht an!“ … pädagogisch total wertvoll.
Also, die Droge war im Umfeld da.
Zwischenzeitlich ist mir jedoch mehr als klar, dass das „Basismotiv“ jeder Drogensucht die Regulation von Gefühlen ist. Im Zentrum steht hierbei meines Erachtens oft die Angst, die sich als eine Art Urgefühl hinter vielen anderen Gefühlen (z.B. von Wut) versteckt.
Ich versuche das mal für meinen Einstieg in die Droge darzustellen:
Ich habe das Rauchen im ersten Urlaub ohne Eltern begonnen. Ich war 15 Jahre alt. Ich war innerlich (nicht äußerlich) aus vielerlei Gründen heraus unsicher:
… ich war z.B. sehr gut in der Schule und lernte – im Gegensatz zu vielen anderen – gern, denn ich war/bin einfach neugierig.
… mein Vater hatte ein Unternehmen, wir hatten ein großes Haus mit Schwimmbad, einen Mercedes etc. – die Nachbarn gegenüber hatten kleine Reihenhäuser, die sie sich mühevoll ersparten.
… ich war hübsch und manches Mädchen auf alles eifersüchtig. Ich hörte Sätze wie „Schneid ihr die Haare ab und steckt sie in einen Müllsack, dann schau sie dir an ...“
Ich könnte die Liste verlängern.
Was ist Unsicherheit? Es ist die Angst nicht gemocht zu werden. Das wiederum bedeutet die Gefahr nicht dazuzugehören. Das wiederum ist ein menschliches Urbedürfnis, denn ohne Gruppe war der Urmensch verloren und somit bald tot.
Oder andersherum: aus der Gruppe ausgestoßen zu sein, ist das Schlimmste, was uns passieren kann. Und ich war in vielen Punkten so anders als andere.
Also beschloss ich wohl die erste Chance als „unbeschriebenes Blatt“ (niemand kannte mich in der Reisegruppe) zu nutzen und passte mich an. Diese Chance war meine erste alleinige Reise mit einer Gruppe ins Ausland. Niemand wusste wer ich bin. Und da die coolen Leute rauchten, machte ich mit. Ich weiß noch wie ich auf der Reise 4 Wochen lang Dauerkopfschmerzen hatte … und ich machte trotzdem weiter, denn wieder erwarten fühlte es sich irgendwie auch großartig an.
Viele Jahrzehnte später weiß ich natürlich, dass Nikotin einen „Glückskick“ macht, der uns dranbleiben lässt … und uns SCHEINBAR „hilft“ unsere Gefühle zu regulieren:
Ich bin gestresst (zusätzlich zum Entzug) –> Zigarette -> Glückskick … mir geht es besser!
Ich bin/war angespannt –> ich möchte entspannen –> Zigarette –> Glückskick … mir geht es besser!
Ich bin gut drauf/will mich belohnen –> ich will das noch intensiver spüren –> Zigarette –> Glückskick … mir geht es noch besser!
Ich bin gelangweilt, weiß nichts mit mir anzufangen – letztlich ein ungutes Gefühl -> Zigarette –> Glückskick … ich fühl mich besser!
Deshalb ist es beim Aufhören auch so unendlich wichtig, sich zu belohnen … mit anderen Dingen, die uns wirklich gut tun … denn der Glückskick durch Nikotin fehlt, sobald wir mit dem Rauchen aufhören!
Klar war mir das alles natürlich nicht und man muss die Situationen schon im Zeitlupe ansehen, um zu begreifen, was passiert.
Weshalb habe ich also geraucht?
- Es war eine Droge, die mir von klein auf bekannt war.
- Ich konnte dadurch meine Gefühle regulieren, d.h. mit unangenehmen besser umgehen und schöne
verstärken
- Nikotin ist eine Droge, die keinen Kontrollverluste und ein High erzeugt. Das hat als Mensch zu mir gepasst –
Kontrollverlust (z.B. Alkohol) und Beruhigung (z.B. Hasch) hätten nicht zu mir gepasst.
Das war´s mal zum Beginn!