[size=2]Tag 147 meiner Nichtmehrraucher-Reise [/size](11.11.2020)
Ich habe heute im Oktoberzug einen langen Kommentar geschrieben und den möchte ich gerne in meinem Wohnzimmer festhalten:
[quote="SmoSa"]
Hallo liebe Oktoberzügler*innen,
ich habe einen gültigen Fahrschein für den Junizug und fahre jetzt einfach mal eine Station bei euch mit ... wird mich schon kein Fahrkarten-Kontrolleur erwischen. :P :wink:
Ich möchte mal versuchen, die Frage von Astrid/Stelli15 zu beantworten.
[quote="Stelli15"]Gibt es eigentlich irgendeine wissenschaftliche Erklärung dafür, dass der Entzug so ein Auf und Ab ist? Ich finde es einfach erstaunlich, dass es jeden Tag einfach anders sein kann....und leider nicht stetig nur bergauf geht.[/quote]
Erst einmal möchte ich eine Lanze für den Rauchteufel brechen - er ist nicht an allem schuld! Wir machen oft den Fehler, jede Unpässlichkeit und jedes Zwicken und Zwacken als Entzugserscheinung zu deuten und den Rauchteufel auch für alle Gefühlsschwankungen verantwortlich zu machen. Dabei vergessen wir gerne, dass wir auch als Raucher gute und schlechte Tage hatten.
Aber auch wenn er nicht an allem schuld ist, so hat er doch großen Anteil an der "Achterbahn der Gefühle" und das hat viel mit Bio-Chemie zu tun. Ich versuche mal, das ganz grob und mit einfachen Worten zu erklären und bitte um Verzeihung, wenn es nicht hundertprozentig richtig ist. (Wer es genauer/fundiert wissen möchte, kann es ja googeln.)
Nikotin greift sehr massiv in das Belohnungssystem unseres Gehirns ein.
Es dockt an bestimmten Rezeptoren an, stimuliert dadurch das Belohnungszentrum und es wird Dopamin (ein sog. Glückshormon) ausgeschüttet. Und weil das Nikotin das ja so wunderbar regelt, überlassen wir ihm das auch gerne, d.h. die körpereigene Dopaminherstellung/-ausschüttung wird heruntergefahren. Je länger und je mehr Nikotin wir zuführen, desto mehr dieser Rezeptoren werden neu ausgebildet. Und damit die alle bedient werden können, muss eine gewisse Menge (und auch immer mehr) Nikotin zugeführt werden. Wenn wir mit dem Rauchen aufhören, dann stoppt natürlich die vom Nikotin gesteuerte Dopamin-Ausschüttung. Jetzt muss sich der Körper wieder selbst um die Produktion und Ausschüttung des Glückshormons kümmern. Aber das funktioniert nicht auf Knopfdruck, sondern muss erst langsam wieder anlaufen. Außerdem sind da plötzlich so viele Rezeptoren vorhanden, dass der Körper es gar nicht schafft, alle zu bedienen. Da sind also erstmal Dopaminspeicher, die nicht bedient werden können, also leer bleiben. Und das erklärt wohl auch diese "Leere", die viele Nichtmehrraucher empfinden.
Der durch das Nikotin erhöhte Dopaminspiegel führt außerdem dazu, dass diverse Konditionierungen/Verknüpfungen ausgebildet werden, d.h. dass bestimmte Situationen mit "Nikotin = Belohnung" verknüpft werden. Haben wir also in bestimmten Situationen immer geraucht, dann schreit unser Suchtgedächtnis bei Eintreten dieser Situation automatisch nach seiner Belohnung, also nach Nikotin. Schwierige Aufgabe erledigt? RAUCHEN!!! Stress? RAUCHEN!!! Kaffee? RAUCHEN!!! Gesellige Runde? RAUCHEN!!!
Wir haben also als Nichtmehrraucher zwei Aufgaben:
Erstens müssen wir uns durch den Wegfall der "Belohnung Nikotin" aktiv darum kümmern, uns anderweitig zu belohnen und so für die Ausschüttung von Glückshormonen zu sorgen. Wie diese Belohnung aussehen kann, ist natürlich sehr individuell. Das können Kleinigkeiten sein, wie z.B. ein duftendes Schaumbad, eine neue Teesorte, ein achtsamer Spaziergang durch den Wald, das bewusste tiefe Einatmen von Frischluft oder ein Wellness-Tag. Das können Erlebnisse/Unternehmungen sein, die man schon länger nicht mehr hatte. Oder man kauft sich vom gesparten Zigarettengeld etwas, was man sich sonst nicht hätte leisten können.
Zweitens müssen wir die ausgebildeten Konditionierungen/Verknüpfungen lösen und dadurch nach und nach unser Suchtgedächtnis löschen. Sich nach einer erledigten Aufgabe mit einer aromatischen Tasse Tee, einer spannenden Kurzgeschichte oder einem Rundgang durch das Rauchfrei-Forum belohnen. Bei Stress das Fenster öffnen und ein paar Mal tief durchatmen. Statt Kaffee z.B. Tee trinken oder den Kaffee an einem anderen Platz trinken als früher. Sich in geselliger Runde freuen, dass man nicht mehr rausgehen muss zum Rauchen und man deshalb auch keine witzigen Geschichten mehr verpasst.
Diese beiden Aufgaben bewältigt nicht jeder gleich gut und deshalb fällt der Rauchausstieg dem einen leichter als dem anderen. Und auch der Einzelne schafft es nicht an jedem Tag gleich gut und deshalb kann es sein, dass wir an einem Tag total euphorisch sind und das Gefühl haben, dass es doch "voll easy" ist, nicht mehr zu rauchen ... und am nächsten Tag fallen wir in ein Loch und empfinden das Nichtmehrrauchen als total anstrengend und zermürbend. Diese "Achterbahn der Gefühle" kann noch einige Zeit andauern, aber die Ups und Downs sind nur am Anfang so extrem steil. Je länger die Fahrt geht, desto gemäßigter werden sie.
Was auch eine große Rolle spielt, wie leicht oder schwer uns der Rauchstopp fällt, ist unsere Einstellung dazu. Wer mit einer positiven Einstellung rangeht (z.B.: Ich WILL mir etwas Gutes tun und ein rauchBEFREITes Leben führen) wird sich leichter tun als derjenige, der das Ganze mit einer negativen Einstellung angeht (z.B.: Ich MUSS aus gesundheitlichen Gründen auf Zigaretten VERZICHTEN).
Ich persönlich habe mich leider ziemlich lange sehr schwer getan mit der richtigen Einstellung und habe "Ziggi" viel zu lange nachgetrauert. Auch wenn es für mich nach ein paar Wochen einfacher geworden ist, nicht mehr zu rauchen, so war ich doch ein sehr unzufriedener Nichtmehrraucher, weil ich immer noch x-mal am Tag dachte, wie schön es wäre, jetzt eine zu rauchen. Irgendwann schlitterte ich regelrecht in eine Art Sinnkrise - ich habe gehadert, gezweifelt und mich gefragt, wann sich das Nichtmehrrauchen endlich normal anfühlt ... wann ich endlich nicht mehr so oft ans Rauchen denke. Aber dann hat mich eine liebe Rauchfrei-Lotsin animiert, es mal mit "Akzeptanz" zu versuchen. Und das habe ich dann auch gemacht, d.h. ich habe es einfach akzeptiert, dass ich noch so oft ans Rauchen denke. Etwas zu akzeptieren bedeutet, es einfach so anzunehmen wie es ist, statt sich immer und immer wieder damit auseinanderzusetzen bzw. dagegen anzukämpfen. Ich habe also angefangen, meine Rauchgedanken mit einem leichten Schulterzucken zu quittieren, ihnen ein lapidares "ist halt so" zu entgegnen und sie emotionslos weiterziehen zu lassen. Das hat super funktioniert - es hat mich entlastet und mich von negativen Gefühlen (wie z.B. Wehmut) befreit. Und diese Akzeptanz führte auch zu meinem neuen Mantra, das mich seitdem begleitet: Ich rauche nicht mehr ... und das ist gut so!
So, das ist jetzt ein ziemlicher Roman geworden. :oops: Nehmt euch davon, was ihr brauchen könnt, und lasst den Rest einfach liegen. :wink:
Ich wünsche euch noch viel Mut, Kraft, Geduld, Gelassenheit und Durchhaltevermögen auf eurer Nichtmehrraucher-Reise.
Und unterstützt euch weiterhin so gut - gemeinsam seid ihr stark!
Liebe Grüße
Christine[/quote]